Warum Gewalt in der Beziehung nicht erst bei Schlägen beginnt

Kommt es in Liebesbeziehungen zu Gewalt, sind die Betroffenen meist Frauen. Noch herrscht wenig Bewusstsein darüber, dass auch manipulatives und einschüchterndes Verhalten des Partners Gewalt ist. Wie zeigt sich seelischer Missbrauch in Beziehungen – und was muss passieren, damit er aufhört?

Schlagen, Schubsen, Bedrohungen oder sexuelle Übergriffe – das sind alles Formen von Gewalt in einer Liebesbeziehung. Trotzdem werden jedes Jahr Hunderttausende Menschen in Deutschland in ihrer Beziehung Opfer solcher Angriffe. Zahlen des Bundeskriminalamts zufolge sind 80 Prozent der Betroffenen Frauen. Nach wie vor ist die Dunkelziffer der Fälle hoch. Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November rückt das Problem in den Fokus.

Doch was, wenn der Partner „nur“ abfällige Bemerkungen macht, die Nachrichten auf dem Handy kontrolliert oder bei Konflikten ständig damit droht, sich zu trennen – aber nicht körperlich aggressiv wird? Ist das schon Gewalt oder noch „normal“?

Expertin warnt vor Gewaltspirale

„Es gibt viele Klischees darüber, wie man sich Betroffene von häuslicher Gewalt vorstellt“, sagt Claudia Igney vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF). In vielen Köpfen herrsche das Bild der Frau mit blauem Auge oder gebrochenem Bein. Doch das treffe längst nicht in allen Fällen zu.

Verschiedene Studien gehen davon aus, dass etwa ein Drittel bis drei Viertel aller Frauen im Laufe ihres Lebens von Gewalt in der Partnerschaft betroffen sind. Das missbräuchliche Verhalten beginnt dabei meist schon Monate oder sogar Jahre vor dem ersten körperlichen Angriff. „Häufig passiert es schleichend“, betont Igney. Viele Betroffene berichteten davon, dass die Beziehung zu Beginn sehr liebevoll und glücklich gewesen sei. Irgendwann kippe die Zuneigung und Verbundenheit um in Machtausübung.

Erste Anzeichen von Partnerschaftsgewalt seien oft kleine Grenzüberschreitungen, erklärt Igney. „Er verbietet ihr, sich mit ihren Freundinnen zu treffen, oder sagt abwertende Dinge vor Freunden und Bekannten.“ Häufig geht es dabei zunächst nicht um tätliche Angriffe, sondern vor allem um Macht und Kontrolle. Die Kampagne „Liebe ohne Gewalt“ des Modelabels Yves Saint Laurent benennt neun Merkmale von psychischer Gewalt in Beziehungen:

  • Ignoranz: Den Partner oder die Partnerin bei Konflikten mit Nichtbeachtung zu bestrafen.
  • Erpressung: Zum Beispiel mit der Trennung oder anderen schlimmen Konsequenzen zu drohen, wenn sich das Gegenüber nicht so verhält wie gewünscht.
  • Demütigung: Beleidigungen und herabwürdigende Aussagen über die Partnerin oder den Partner, auch vor anderen Menschen.
  • Manipulation: Der Versuch, das Verhalten der anderen Person zu beeinflussen, ein schlechtes Gewissen einzureden und dadurch ein Machtungleichgewicht aufzubauen.
  • Eifersucht: Wenn der Partner oder die Partnerin alle Aktivitäten und Interessen der Beziehungs­person misstrauisch herabwürdigt und die uneingeschränkte Aufmerksamkeit einfordert.
  • Kontrolle: Vorschriften darüber, was die Partnerin oder der Partner tun darf oder wie sie oder er sich kleiden soll.
  • Eingriff in die Privatsphäre: Nachrichten auf dem Handy lesen, Passwörter verlangen oder jeden Schritt der Partnerin oder des Partners mit Spyware verfolgen.
  • Isolation: Der Versuch, die Partnerin oder den Partner von Freundeskreis und Familie zu trennen.
  • Einschüchterung: Durch Drohungen und Wutausbrüche eine Angstkulisse erschaffen, die Gegenrede unmöglich macht.

In manchen Beziehungen bleibt es „nur“ bei psychischer Gewalt. Sie kann aber auch ein Warnsignal für drohende körperliche Übergriffe sein. Igney beschreibt eine „Spirale der Gewalt“: Männer, die ein psychisch missbräuchliches Verhalten zeigten, würden später häufig auch physisch gewalttätig. Was mit kleinen, verbalen Angriffen beginne, ende dann in schwerer körperlicher oder sexueller Gewalt – bis hin zum Tötungsdelikt.

Umso problematischer ist es, dass die Anzeichen oftmals nicht als Gewalt erkannt werden. Dazu komme teils ein fataler Gewöhnungseffekt, erklärt Igney: „Je häufiger die Übergriffe werden, desto schwieriger wird es irgendwann, sie überhaupt noch als Grenzverletzungen wahrzunehmen“, sagt Igney. Viele Frauen berichteten, die alltägliche Gewalt sei für sie irgendwann normal geworden.

„In der öffentlichen Wahrnehmung ist psychische Gewalt noch überhaupt nicht präsent“, sagt Julia Schaffner, Geschäftsführerin von „Frauen* beraten Frauen*“ in Wien. Der Verein hat ein Handbuch erstellt, das über die verschiedenen Formen von Gewalt aufklärt. Selbst den Betroffenen sei oftmals nicht bewusst, dass sie Gewalt erfahren. Häufig werde den Frauen zudem von den Tätern eingeredet, dass sie selbst schuld an den Vorfällen seien, sagt Schaffner. „Wenn Frauen mit Gewalterfahrungen in die Beratung kommen, glauben sie meistens, dass sie selbst das Problem sind“, berichtet Schaffner. „Erst im Lauf des Gesprächs wird dann klar, dass sie in einer Gewaltbeziehung leben.“

Betroffene Frauen haben häufig Schuldgefühle

Selbstbeschuldigungen seien eine typische Folge von Gewalterfahrungen, erklärt auch Anette Kersting, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitäts­klinikums Leipzig. Dort ist vor Kurzem eine Befragungsstudie zum Thema Partnerschaftsgewalt gestartet. Neben den Schuldgefühlen entstehe bei vielen Betroffenen auch Scham über das Erlebte. „Sie sorgt dafür, dass man sich noch weniger seiner Umgebung öffnet“, sagt die Expertin. Selbst wenn sie sich über die erlebte Gewalt im Klaren seien, blieben dadurch viele Betroffene allein mit ihren Erfahrungen. Hinzu komme die Stigmatisierung von Gewalt­erfahrungen. „Menschen im Umfeld denken vielleicht: Warum wehrt sich die Frau nicht, warum verlässt sie ihn nicht?“, sagt Kersting. Dieses Unverständnis führe auch dazu, dass die Gewalt verschwiegen werde.

Ein weiteres Problem: Psychische Gewalt stellt in den meisten Fällen keinen Straftatbestand dar und kann deshalb auch nicht angezeigt werden. „Anders als blaue Flecken und Verletzungen lässt sich psychische Gewalt auch nicht dokumentieren“, sagt Julia Schaffner. Betroffene können daher oftmals nur schwer nachweisen, dass ihnen Gewalt widerfährt.

Gewalt kann schwere psychische Erkrankungen verursachen

Psychische Gewalt hat für die Betroffenen gravierende Folgen: Ständige Bedrohung und Abwertung erzeugten einen enormen psychischen Stress, betont Claudia Igney vom BFF. „Das zermürbt einen Menschen.“ Dass Gewalterfahrungen schwere psychische Krankheiten hervorrufen können, ist auch medizinisch belegt. „Die Wahrscheinlichkeit, eine depressiven Störung, posttraumatische Belastungsstörung oder Angsterkrankung zu entwickeln, ist bei Betroffenen von interpersoneller Gewalt deutlich erhöht“, sagt Klinikdirektorin Anette Kersting. Auch Suizidgedanken träten vermehrt auf.

Sich aus der Gewaltspirale zu befreien ist für betroffene Frauen daher mit enormer Anstrengung verbunden – selbst wenn die Erkenntnis längst da ist, dass es sich um Gewalt handelt. „Subjektiv erscheint es den betroffenen Frauen oft schlimmer, sich zu trennen, als die Situation weiter auszuhalten“, sagt Kersting. Auch finanzielle Zwänge oder die Sorge vor weiterer gesellschaftlicher Stigmatisierung können Ursachen dafür sein, aber auch Drohungen des Partners. „Das Risiko, getötet zu werden, ist für eine gewaltbetroffene Frau in der Zeit der Trennung am allerhöchsten“, betont Claudia Igney.

Wo kann die Gesellschaft ansetzen, um der Gewalt in Partnerschaften entgegenzuwirken? Kampagnen wie „Liebe ohne Gewalt“ oder „Wege aus der Gewalt“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbands wollen für das Thema sensibilisieren. Das sei wichtig, um das Unrechtsbewusstsein zu stärken, sagen die Expertinnen.

Beratungsstellen fordern mehr Anstrengungen für Gewaltprävention

Claudia Igney wünscht sich mehr Kampagnen, die auch die potenziellen Täter in die Verantwortung nehmen. Dazu gehöre, Männerbilder zu hinterfragen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken. Gerade Männer dürften nicht wegschauen, wenn sie in ihrem Umfeld Gewalt von anderen Männern miterleben. „Wenn alle Kumpels schon beim ersten blöden Spruch sagen würden: ‚Hey, was ist das für ein Scheiß, das ist nicht okay und das ist auch nicht männlich!‘ – dann würde das viel verändern“, sagt Igney.

„Auch die Förderung von gleichberechtigten Beziehungen ist Gewaltprävention“, sagt Julia Schaffner. Wenn die Aufgaben und Pflichten in einer Partnerschaft gleich verteilt seien, sinke das Risiko eines ungleichen Machtverhältnisses, und damit auch von Gewalt. Zu dieser Gleichberechtigung gehört auch die Fähigkeit, über Konflikte zu kommunizieren. „Sich respektvoll auf Augenhöhe zu streiten muss man gelernt haben“, sagt auch Claudia Igney.

Viele Täter waren früher selbst Opfer von Gewalt

In der frühkindlichen Erziehung und in der Jugendarbeit gibt es nützliche Ansätze zur Vorbeugung gegen Gewalt. Dazu gehört die Stärkung von Unrechtsbewusstsein, ebenso wie die Fähigkeit, sich gegen Aggressionen zur Wehr zu setzen. Mädchen und Frauen werde laut Schaffner noch immer häufig beigebracht, lieb und ruhig zu sein und sich selbst zurückzunehmen. Aus diesem Rollenbild auszubrechen sei ein erster Schritt.

Wissen über Gewalt könne etwa in der Polizei- oder Lehrkräfteausbildung noch stärker vermittelt werden, empfiehlt Prof. Anette Kersting. „Dazu gehört auch ein Verständnis dafür, dass es meistens eine gewisse Zeit dauert, bis sich eine Frau aus der Situation befreien kann“, sagt Kersting. Auch Beratungsstellen für gewalttätige Männer seien ein wichtiger Ansatz. „In den Biografien vieler Täter wird deutlich, dass sie selbst auch einmal Opfer waren.“ Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, brauche es Anlaufstellen für Männer, die sich ändern wollen.

Mehr Geld für die Beratungsstellen und mehr Plätze in Frauenhäusern werden von vielen Seiten gefordert. „Die Unterstützungssysteme sind immer am Rande der Kapazitätsgrenzen“, sagt Igney. Um mehr Prävention und Sensibilisierungsarbeit leisten zu können, brauche es mehr finanzielle Mittel. „Partnerschaftsgewalt kann jede Frau treffen“, betont Igney. „Deshalb wäre es wünschenswert, dass das Thema nicht nur einmal im Jahr zum Aktionstag in den Fokus rückt.“

Sind Sie von Gewalt betroffen? Hier bekommen Sie Hilfe:

  • Bei akuter Gefahr rufen Sie immer die Polizei unter der Notrufummer 110!
  • Auf der Internetseite des BFF finden Sie Beratungsstellen in ihrer Nähe.
  • Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 116 016 (anonym, kostenfrei, barrierefrei und in 18 Fremdsprachen verfügbar)
  • Opfertelefon des Weißen Rings: 116 006 (bundesweit, kostenfrei, täglich von 7 bis 22 Uhr)
  • Hilfetelefon „Gewalt an Männern“: 0800 1239900 (anonym, Mo. bis Do. von 8 bis 20 Uhr, Fr. von 8 bis 15 Uhr)

„Gewalt von Männern ist ein blinder Fleck an Familiengerichten“

Wenn sich Eltern um das Sorgerecht für ihre Kinder streiten, dann sitzen die Frauen meist am längeren Hebel, oder? Das Gegenteil ist der Fall, kritisiert die Soziologin und Autorin Christina Mundlos. Die Familiengerichte würden Frauen und Kinder nicht ausreichend vor der Gewalt von Vätern und Ex-Partnern schützen. Was muss sich ändern?

Frau Mundlos, Sie berichten, dass Frauen, deren Ex-Partner gewalttätig sind, bei Verfahren vor Familiengerichten in ganz Deutschland strukturell benachteiligt werden. Wie sind Sie auf dieses Problem aufmerksam geworden?

Als Coachin berate ich seit 15 Jahren Mütter, die verschiedene Formen von Diskriminierung, Gewalt oder Benachteiligung erlebt haben. Dabei sind mir immer wieder Fälle untergekommen, in denen Gewalt vom Vater der Kinder ausgeht und die Mütter sich selbst und ihre Kinder nicht davor schützen können, weil das Familienrechtssystem das unmöglich macht. Auf diesen Missstand möchte ich aufmerksam machen.

Wie muss man sich diesen fehlenden Schutz vor Gewalt vorstellen? Was passiert dort in den Familiengerichten?

Das größte Problem ist die generelle Grundannahme von Verfahrensbeteiligten, dass häusliche Gewalt von Männern gegen Frauen und Kinder extrem selten ist. Das ist ein großer blinder Fleck an vielen Familiengerichten. Obwohl wir aus Studien wissen, dass über 90 Prozent der häuslichen Gewalt von Männern ausgeht und dass nur etwa ein bis 3 Prozent der Frauen im Gerichtssaal falsche Angaben machen, wird den Frauen häufig nicht geglaubt. Das geht so weit, dass teilweise schriftliche Morddrohungen oder Polizeiberichte über Gewalt im Verfahren nicht ernst genommen werden. Die Konsequenz: Das Umgangsrecht der Väter wird schwerer gewichtet als das Recht von Müttern und Kindern auf Schutz vor Gewalt.

Wer noch nie etwas mit einem Familiengericht zu tun hatte, kann sich das wahrscheinlich kaum vorstellen. Insgesamt hält sich eher die Annahme, das Mütter bei Sorgerechtsstreitigkeiten die besseren Chancen haben. Wie kommt es dazu, dass die Gerichte oft gegen die Mütter entscheiden?

Es gibt frauenfeindliche Narrative, die sich in Entscheidungsmustern an den Familiengerichten niederschlagen. Frauen, die lügen, die nur das Geld der Männer wollen – einerseits sind das alte Stereotype, die es auch anderswo in der Gesellschaft gibt. Andererseits werden diese Vorstellungen aber vehement von radikalen Väterrechtsvereinigungen wie etwa dem „Väteraufbruch für Kinder“ propagiert. Sie wirken seit ungefähr 30 Jahren stark in die Institutionen hinein – indem sie zum Beispiel Fortbildungen für Richterinnen und Richter und andere Verfahrensbeteiligte anbieten.

Dort wird gelehrt, dass Gewalt und Missbrauch durch den Vater unwahrscheinlich seien und Mütter solche Vorfälle häufig erfinden würden, um die Kinder vom Vater fernzuhalten. Es findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt, in der die gewalttägigen Väter als Opfer der Frauen dastehen. Wenn man das so gelernt hat als Gutachter, als Verfahrensbeistand oder Jugendamtsmitarbeiter, hat man eine vorgefertigte Brille auf und nimmt alles andere nicht mehr wahr.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Ein typisches Schlagwort, das wirklich fast alle Mütter, die ich berate, an irgendeinem Punkt im Gerichtsverfahren zu hören bekommen, ist die angebliche Bindungsintoleranz oder Eltern-Kind-Entfremdung. Den Frauen wird unterstellt, sie seien kontrollsüchtig, würden ihre Kinder als Besitz erachten und deshalb den Kontakt zum Vater verhindern. So entsteht folgende Logik: Wenn ein Kind nicht zu seinem Vater will, ist das die Schuld der Mutter, die das Kind manipuliert. Die Angst des Kindes vor dem Vater wird nicht als mögliche Reaktion auf eine Gewalterfahrung in Betracht gezogen. Das kann zur Folge haben, dass das Gericht den Kontakt mit dem Vater erzwingt oder sogar der Mutter den Kontakt mit dem Kind verbietet.

Was muss passieren, damit sich das ändert und die Gerichte die Fälle differenzierter betrachten?

Um den Gewaltschutz zu verbessern, sind einige Gesetzesänderungen nötig. Etwa muss Gewalt klar als Kindeswohlgefährdung anerkannt werden – das ist aktuell nicht immer der Fall, so verrückt es klingt. Es muss klar sein, dass bei Vorliegen von häuslicher Gewalt kein gemeinsames Sorgerecht mit einem Täter möglich ist. Und Kinder dürfen auch nicht zum Umgang mit einem Elternteil gezwungen werden, das schon einmal gewalttätig war.

Außerdem wäre es sinnvoll, wenn wir gesetzlich regeln, dass Gutachter und Verfahrensbeistände nach einer Liste zugeteilt und nicht mehr von den Richtern selbst bestellt werden. Das würde helfen, Klüngelei zu vermeiden. Die Einschätzungen von Verfahrensbeiständen wiegen vor Gericht sehr schwer und können für das Verfahren entscheidend sein. Im Moment ist es so, dass eine Richterin oder ein Richter immer die gleichen Sachverständigen mit einer bestimmten Meinung oder Einschätzung bestellen kann. Umgekehrt stehen diese Sachverständigen unter Druck: Wenn sie Aussagen treffen, die der Einschätzung des Richters widersprechen, müssen sie fürchten, beim nächsten Fall nicht mehr beauftragt zu werden.

Und wie kommt man gegen die Vorurteile gegenüber Frauen an?

Zuallererst müssten dringend die Inhalte dieser Aus- und Fortbildungen für Verfahrensbeteiligte verbessert werden. Da müsste man einmal genau schauen: Was sind aktuell die Inhalte und wer sind die Ausbildungsinstitute?

Und dann braucht es dringend mehr Wissen im Umgang mit traumatisierten Menschen. Das ist in unserem Justizapparat noch überhaupt nicht angekommen. Zum Beispiel ist es typisch bei Traumata, dass Menschen manchmal lückenhaft erzählen oder sich an bestimmte Situationen partout nicht erinnern können, weil die Psyche das wegschließt, als eine Art Schutzmechanismus. In den Befragungen werden aber genau diese Verhaltensweisen oft als Anhaltspunkt dafür ausgelegt, dass eine Frau lügt.

Außerdem müssen Richterinnen, Gutachter oder Verfahrensbeistände in Kinderpsychologie geschult werden, denn es gibt häufig direkte Befragungen der Kinder. Ich höre sehr oft, dass die Menschen, die dort die Fragen stellen, den Kindern Druck machen. Sie fragen dann zum Beispiel: „Glaubst du nicht, dass dein Papa sehr traurig wäre, wenn du ihn nicht mehr siehst?“ Jeder, der das Kindeswohl im Blick hätte, weiß, dass Kinder sich sehr schnell schuldig fühlen und man alles dafür tun muss, dass sie nicht auch noch die Verantwortung der Erwachsenen übernehmen. Hier muss auf jeden Fall etwas passieren, weil ansonsten mehr Schaden angerichtet wird, als dass den Kindern geholfen werden kann.

Was raten Sie betroffenen Frauen?

Auch wenn es schwierig ist: Das Wichtigste ist, die Nerven nicht zu verlieren. Sonst hat man noch schlechtere Chancen, die eigene Position glaubhaft zu machen.

Außerdem rate ich Frauen, sich vor Gericht nicht zu einer Einigung drängen zu lassen. Denn wenn man sich einigt, hat man kein Rechtsmittel mehr, um dagegen vorzugehen. Deshalb ist es im Zweifel besser, auf einem Beschluss durch den Richter zu bestehen. Auch wenn dieser Beschluss dann negativ ausfällt, kann man wenigstens noch Widerspruch dagegen einlegen. Dann geht der Fall ans Oberlandesgericht.

Außerhalb des Gerichtsverfahrens ist es wichtig, sich mit anderen Betroffenen zusammenzuschließen. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Fälle und auch die Vorgehensweisen von Vätern, die gewalttätig sind, oft sehr stark ähneln. Deshalb kann man von anderen betroffenen Frauen oft etwas lernen. Und der Austausch mit anderen schafft ein Bewusstsein dafür, dass man kein Einzelfall ist, sondern dass die Sache System hat.